An der Grundstücksmauer seiner Finca in Marbella prangt der Schriftzug: «La Casita Del Principe Pop». Die Selbstbeschreibung als «Prinz des Pop» sei selbstverständlich ironisch gemeint, sagt Hubertus Prinz zu Hohenlohe. Der 60-Jährige hat den lässigen Charme von Menschen, die sich mögen und ihre Tiefe an der Oberfläche verbergen. Dabei deutete seine Kindheit auf ein verkrachtes Leben hin. Die Ehe der Eltern begann als aristokratische Seifenoper mit 130 blumengeschmückten Gondeln auf dem Canale Grande in Venedig und endete als Kriminalfall mit Kindesentführung und gedungenen Revolvermännern.
2006 hiess es im Magazin Park Avenue, Ihr Anrufbeantworter habe die Ansage: «I’m not Elvis, I’m not Dodi Al-Fayed, I’m not Helmut Berger, but I’m trying. Leave a message.» Wahr?
Nein, das wurde falsch zitiert. Die Ansage hatte mit meinen drei Berufen zu tun: «I’m not Alberto Tomba, I’m not Bono, I’m not Helmut Newton, but I’m trying. Leave a message.»
Welche Ansage läuft heute auf Ihrem Anrufbeantworter?
Keine. Kennen Sie noch Leute, die auf Anrufbeantworter sprechen? Ich nicht.
Ihr Vater – sein vollständiger Name lautet Alfonso Maximiliano Victorio Eugenio Alexandro Maria Pablo de la Santísima Trinidad y todos los Santos Hohenlohe-Langenburg – war ein leidenschaftlicher Jäger und hat Sie nach dem Patron der Jagd benannt. Ist seine Passion auf Sie übergegangen?
Ich gehe ab und zu auf Niederwildjagden, um die Tradition meines Vaters fortzuführen, aber lieber jage ich interessante Menschen. Ich bin einer, der immer was erleben möchte und das nächste grosse Ding für Augen und Gehirn sucht. Ich habe mal Lenny Kravitz fotografiert. Seine Lebensphilosophie lautet: «Ich bin ein Drifter, der dafür lebt, Neues zu entdecken. Aber sobald ich es gefunden habe, verliere ich das Interesse. Das ist wie eine Sucht, die nicht zu stillen ist. Ob einem das gut tut, ist fraglich.» Das unterschreibe ich.
Sie moderieren seit 2011 für den Red Bull-Sender Servus TV die Fernsehreihe Hubertusjagd, in der Sie die kreativen Schlüsselfiguren von Städten wie Tiflis, Tokio oder Buenos Aires vorstellen. Wie kamen Sie dazu?
Der Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz sagte mir, da es das Leben offenbar gut mit mir meine, stünde ich in der Schuld, die Menschen an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen. Hubertusjagd soll Geschmack und Eleganz vorführen. Gegen den allgegenwärtigen Trash setzen wir auf die Leichtigkeit des Seins und wollen Träume entfachen. Reality kills too many dreams.
Sie haben grosse Teile Ihrer Kindheit und Jugend im Marbella Club an der spanischen Costa del Sol verbracht, einem 1953 von Ihrem Vater gegründeten Fünf-Sterne-Hotel mit angeschlossenen Luxusvillen, in dem sich der Jetset und die High Society vergnügte. Heute veranstalten Sie dort in den Sommermonaten jeden Freitag Freiluftpartys mit DJs, die häufig dem Hochadel angehören.
Ich habe diese Clubnächte ins Leben gerufen, damit die Traditionen meines Vaters nicht schon nach einer Generation verloren gehen. Er hat Marbella vom Fischerkaff zum mondänen Jetset-Treff gemacht und ein eigenes Lebensgefühl kreiert. Diesen Spirit will ich weitergeben und damit etwas gegen die Vulgarität tun, die in Marbella eingezogen ist. Früher sah es hier aus wie in Beverly Hills, heute wie in Miami.
Wie war es, Kind zu sein inmitten von Hollywoodstars wie James Stewart, Waffenhändlern wie Adnan Kashoggi oder Tankerkönigen wie Aristoteles Onassis?
Der Marbella Club war mein All inclusive-Schlaraffenland. Es war für mich das Normalste der Welt, mit Celebrities wie Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Brigitte Bardot, Julio Iglesias oder Sean Connery am Tisch zu sitzen. Wollte ich Eis essen, Wasserski laufen, Tennis oder Minigolf spielen, genügte ein Wink Richtung Personal, schliesslich war ich der Sohn von Prinz Alfonso. Mit sieben Jahren fühlte ich mich durch das inbrünstige Gekreische eines weiblichen Hotelgasts gestört und sagte meiner Kinderschwester, sie solle bitte dafür sorgen, dass diese Frau endlich aufhört zu schreien. Die Frau war Maria Callas.
Welcher Gast hat sich in Ihr Gedächtnis eingebrannt?
Um ein Gegengewicht gegen die aristokratisch-versnobte Gesellschaft im Club zu schaffen, habe ich mit 16, 17 angefangen, Popstars und Bands wie Led Zeppelin oder Queen einzuladen. Als David Bowie zu Gast war, sagte er nachts um zwei zu mir: «Komm mit an den Pool, ich zeige dir, wie ich einen Song schreibe.» Am Rand des Pools stand eine kitschige Delfinskulptur. Bowie nahm Zettel und Stift und schrieb einzelne Sätze untereinander. Mit einer Schere schnitt er Sätze aus, mischte sie neu und sang sie zur Gitarre. Nach 20 Minuten las er mir die fertigen Zeilen vor: «I, I wish you could swim / Like the dolphins, like dolphins can swim / Though nothing, nothing will keep us together / We can beat them, forever and ever / Oh we can be heroes, just for one day.» Als der Song rauskam, begriff ich, dass ich Zeuge der Entstehung seines Welthits «Heroes» geworden war.
Die Scheidungsschlacht Ihrer Eltern stellte jeden Hollywoodfilm in den Schatten. Ihr Vater entführte Sie und Ihren Bruder von Mexiko nach Europa, Ihre Mutter liess ihre Söhne zwei Jahre lang von einer bewaffneten Söldnertruppe suchen. Wer die Kinder aufspürte, sollte von ihr eine Million US-Dollars Belohnung bekommen.
Ich war zu klein, um mich an den Krieg meiner Eltern zu erinnern, aber meine österreichische Kinderschwester hatte Zeitungsartikel über unsere Entführung aufgehoben. Als ich sieben oder acht war, habe ich sie entdeckt und Fragen gestellt. Als sie zu erzählen begann, fielen mir einzelne Szenen wieder ein. Als mein Bruder und ich während unserer zweieinhalbjährigen Odyssee quer durch Europa in Österreich landeten, mussten wir Perücken aufsetzen und Dirndl tragen, damit man uns für Mädchen hielt.
Sie beherrschen fünf Sprachen. Deutsch sprechen Sie mit einem Wiener Singsang. Ein Erbe Ihrer österreichischen Kinderschwester?
Nein. Das Filmteam, mit dem ich seit neun Jahren die Hubertusjagd drehe, spricht den ärgsten Wiener Slang. Ich bin wie ein Papagei: In Südtirol rede ich wie Reinhold Messner, in Zürich wie Dieter Meier, in Hamburg wie Stefan Aust. I adapt myself to the places I go to.
Ihr Vater hat Marbella nie verlassen. Warum sind Sie aus Ihrem Schlaraffenland fortgegangen?
Als ich zehn Jahre alt war, meinte mein Vater, das süsse Wohlleben bekomme mir nicht, und schickte mich nach Vorarlberg in ein Klosterinternat der Jesuiten. Ich konnte noch nicht mal richtig Deutsch, weil ich mit meinen Eltern immer Spanisch sprach. Es war der Schock meines Lebens, vom gelobten Land in die bleierne Tristesse eines Klosterinternats deportiert zu werden. Meine späteren Sünden sind seit damals abgebüsst.
Mit 18, 19 gerieten Sie ins Visier der Boulevardpresse und wurden Teil der Glitterati-Szene. Im November 1977 schrieb Andy Warhol in sein Tagebuch: «Dinner mit Ira von Fürstenberg. Ihr Sohn kam auch dazu. Hubertus sieht noch besser aus als sein Bruder Kiko. Er ist die Sorte Junge, mit der man ein Date haben will.» Wie haben Sie Warhol kennengelernt?
Wir wurden uns im Studio 54 in New York vorgestellt. Er sagte: «Du bist also der Sohn der glamourösen Ira. Es freut mich, dass frisches Blut in die Stadt kommt. Lass uns Essen gehen und zum Shoppen verabreden.» Ein paar Tage später hat er mich für seine Zeitschrift Interview fotografiert. Als ich erzählte, dass ich Popsänger werden wollte, war er begeistert: «Ein echter Prinz, der sich als Popstar auslebt – das kann nur ein Riesenerfolg werden!» Blaublütler aus Europa waren für ihn die Cherrytomate im Salat.
Sie haben damals in Graz Betriebswirtschaft und Philosophie studiert. Statt einen Abschluss zu machen, wurden Sie Skiprofi und starteten 1984 für Mexiko bei den Olympischen Spielen in Sarajewo.
Es folgten fünf weitere Olympische Spiele und 18 Weltmeisterschaften. Mich für den Skisport zu entscheiden, war mein Befreiungsschlag. Es löste eine Euphorie in mir aus, meinen eigenen Weg zu gehen, statt in die grossen Fussstapfen meines Vaters zu treten. Meine Verwandtschaft war tief deprimiert. «Wir haben dich jahrelang auf Schiene gehalten, und jetzt entgleist du kurz vorm Hauptbahnhof», hiess es.
Neben dem Skisport haben Sie in Bands wie Royal Disaster selbstgeschriebene Popsongs gesungen und für Musiker wie Falco gearbeitet.
Falco rief mich an und fragte, ob ich für sein Album «Junge Römer» die italienischen Texte schreiben könnte. Ich hielt ihn für einen prätentiösen, abgehobenen Wichtigtuer, er mich für ein snobistisches Aristokratenarschloch. Freunde wurden wir bei einem Essen im Sacher in Wien. Er wollte, dass ich ihn nach Hause fahre, weil er natürlich wieder zu viel getrunken und vielleicht auch andere Sachen genommen hatte. Realität war für ihn eine Halluzination, die durch die Abwesenheit von Alkohol und Drogen entsteht. Vor dem Sacher parkten Jaguar-, Bentley- und Mercedes-Limousinen, und er schaute, auf welche Angeberkarre ich zusteuern würde. Als ich schnurstracks zu meinem irrsinnig geilen Lancia Delta HF Integrale ging, sagte er: «Hubertus, was hast du denn da für einen furchtbaren Simca?» Diese Bemerkung zahlte ich ihm mit einer Rennfahrt in den siebten Bezirk heim. Am Ende sagte er: «Schlecht geht des Auto ned.»
Ihr bester Freund, heisst es, ist der 74-jährige Yellow-Musiker Dieter Meier.
Er ist mein tiefgründigster Freund mit den verlässlichsten Ratschlägen. Von ihm habe ich gelernt, dass es kein Glück bringt, auf den eigenen Vorteil aus zu sein. Seiner stringenten Lebensführung kann man blind folgen, und er kann mir erklären, warum ich der bin, der ich bin. Gäbe es in Harvard eine Professur für Ironie und Leichtigkeit, müsste er sie bekommen.
Seit 2001 arbeiten Sie als Fotograf. Ihr Markenzeichen sind Bilder, auf denen Sie selbst mit drauf sind, mal als Spiegelbild in der Glasfront einer Boutique in Beverly Hills, mal im Spiegel der Herrentoilette bei der Cheopspyramide in Gizeh. Wie ist Ihr Stil entstanden?
Meine Beziehung zur Fotografie begann mit einem grossen Fragezeichen. Ich verstand als Teenager nicht, warum ich für Fotografen Objekt ihres Interesses war, obwohl ich nichts geleistet hatte, was Aufmerksamkeit verdient hätte. Ich wollte Hubertus Hohenlohe sein, nicht der Sohn von Ira und Alfonso. Heute würde man sagen, ich war ein Kardashian: famous for being famous. Es begann ein Wettlauf mit mir selbst: Wann verdiene ich es mir, in «Bunte» oder «Hola» vorzukommen? Eines Tages sprach mich in Wien eine Foto-Kuratorin an, die Spiegelbilder von mir gesehen hatte. Sie fragte, ob ich mehr von diesen Fotos hätte, wenn ja, würde sie sie gern ausstellen. Ich bluffte und sagte, ich hätte Hunderte Fotos dieser Art. Wenn ich in vier Wochen aus Marbella zurückkäme, könnte ich sie ihr zeigen. In diesen vier Wochen habe ich meinen Stil geboren und Hunderte Fotos gemacht. Seither bin ich mein eigener Paparazzo. Bevor das Selfie erfunden wurde und seinen weltweiten Siegeszug antrat, habe ich bereits XXL-Selfies gemacht. Heute glaubt jeder, ein Heroe sein zu müssen, und arbeitet daran, mit Fotos von sich selbst zur Ikone zu werden. Diesen Zeitgeist illustrieren meine Bilder.
Ihr Vater hatte zahllose Affären, von Ava Gardner bis Kim Novak. Waren Sie je das, was man einen Playboy nennt?
Nein. Ich fand das Beispiel von meinem Vater oder von Gunter Sachs überhaupt nicht cool. Jeden Tag überlegen, wo du eine Frau aufreissen kannst und dann jedes Mal verbrannte Erde hinterlassen: Was sollte an dieser Art Menschenjagd verlockend sein? Bei mir entwickelt sich das Körperliche über den geistigen Austausch. Playboys dagegen führen Strichlisten, wen sie flachgelegt haben und wer als Nächstes dran ist. Diese Strichlisten werden gegenseitig abgesegnet. Das ist ein doofer Wettbewerb, in dem es darum geht, die längste Liste zu haben. Mir kam es oft so vor, als würden Männer wie Gunter Sachs mit ihrer Jagd nach Frauen eine Traurigkeit überspielen. Ihr Image war ihnen wichtiger als ihr Glück. Das eigene Spiegelbild sollte einem aber nicht wichtiger sein als der Mensch, der in den Spiegel schaut.
El Quexigal, das östlich von Madrid gelegene Familienschloss Ihres Vaters, hatte 96 Räume, 36 Diener und einen ein Kilometer langen Weinkeller. Wie stehen Sie zu Luxus?
Man muss ihn ironisieren, sonst wird es peinlich. Wenn Luxus ohne Esprit und Flair präsentiert wird, hat man das widerliche Gefühl, jemand schmeisst einem Geld ins Gesicht. Ich habe von früh an eine Aversion gegen protzige Riesenvillen entwickelt, in denen vulgärer Luxus zur Schau gestellt wird. Für Schlösser mit endlos langen Gängen habe ich genauso wenig übrig. Manchmal spendiert man mir bei Servus TV eine Hotelsuite. Die sage ich dann wieder ab, weil ich mir dort verloren vorkäme. Ich fühle mich wohl in Hotels wie dem Stamba in Tiflis, dem Hôtel du Cap-Eden-Roc an der Côte d'Azur oder dem Kolonialhotel Metropole in der Altstadt von Hanoi. Im Metropole könnte ich mein Leben verbringen. Das Stamba ist der richtige Ort, um drei Monate lang an einem Buch zu schreiben. Überhaupt, Tiflis is the new Berlin. Die Stadt hat eine Aufbruchstimmung wie Berlin nach der Wende und mit dem Bassiani den besten Techno-Club der Welt. Als Tanzfläche für 1200 Leute dient ein stillgelegtes Schwimmbad. Die Fashion Week in Tiflis ist der Teich, aus dem Modemarken wie Vetements oder Balenciaga junge Talente fischen.
Worüber ärgert sich ein Mensch wie Sie?
Über Leute, die mir sagen: «So ein Leben wie du möchte ich auch haben!» und damit meinen, ich liege den ganzen Tag auf der faulen Haut, um abends in die Disco zu gehen oder Fotos von Jerry Hall oder Heidi Klum zu machen. Ich arbeite total viel, um am Geist der Zeit dranzubleiben. Auf einer Hollywoodschaukel hätte ich das Gefühl, dass alles zerfällt, was ich aufgebaut habe.
Ihr zwei Jahre älterer Bruder Christopherus Vittorio Umberto Prinz zu Hohenlohe-Langenburg, genannt Kiko, sollte den Marbella Club vom Vater übernehmen, doch stattdessen versank er in einem Sumpf aus Nichtstun und nächtlichen Vergnügungen. Aufgedunsen von 35 Kilo Übergewicht und mit auffällig blondierten Haaren lebte er die meiste Zeit des Jahres in Honolulu auf Hawaii und vertilgte schon morgens für 1,99 Dollar Riesenportionen in All-you-can-eat-Restaurants.
Sport ist eine Schule des Lebens. Du lernst, dich durchzubeissen, Schmerzgrenzen zu überwinden und mit Niederlagen fertig zu werden. Kiko hat diesen Biss nie entwickelt. Aus Angst zu scheitern, hat er gar nicht erst angefangen zu kämpfen. Als ich heute morgen an seinem Grab stand, fielen mir eine Menge Menschen ein, denen es auch nicht gut bekommen ist, auf das Erbe der Eltern zu warten. Nichts ist schwerer zu ertragen als permanenter Müssiggang.
Ihr Bruder wird als einsamer, von Ängsten und Selbstzweifeln gepeinigter Mensch beschrieben. Hatten Sie ein enges Verhältnis zu ihm?
In den letzten Jahren nicht mehr. Er rief mich öfter per R-Gespräch in Marbella an und fragte, wer nach ihm fragen würde. Wenn ich antwortete: «Gunilla von Bismarck», sagte er: «Ach, die gibt’s immer noch?
Gab es niemanden, der Ihren Bruder überzeugen konnte, sich einer Therapie zu unterziehen?
Nein, keiner hat das ernsthaft versucht. Elvis konnte auch nicht gerettet werden. Dabei gab es einflussreiche Leute, die ein finanzielles Interesse an seinem Weiterleben hatten. Im Leben von Menschen gibt es einen Point of no return. Den hatte Kiko überschritten.
War Ihr Bruder drogensüchtig?
Kiko hat ausgeschaut wie ein pädophiler Junkie-Freak, aber er war zu hundert Prozent harmlos. Es war kein Geheimnis, dass er bisexuell war, aber das war für ihn kein Grund, sich den Kopf mit Drogen zu vernebeln. Sein Stammgetränk war Fanta Lemon. Das Zeug hat er literweise getrunken.
Ihr Bruder starb 2006 mit 49 Jahren unter nie ganz geklärten Umständen in einem rattenverseuchten Untersuchungsgefängnis in Bangkok zwischen Mördern und Dealern.
Er hatte die Gültigkeitsdauer seines Visums gefälscht und war deshalb bei der Ausreise verhaftet worden. Unsere Mutter und ich flogen nach Bangkok, um ihn aus dem Gefängnis rauszuholen, aber wir liefen bei den Behörden gegen eine Wand.
Ihre Mutter sagte über ihre letzten Minuten mit ihrem Sohn: «Ich habe Kiko kaum wiedererkannt. Er weinte und sagte: 'Mammi, ich sterbe.' Nachts bekam ich einen Anruf: 'Ihr Sohn ist ins Koma gefallen.' Ich weiss nicht, ob man ihn vergiftet hat oder ob er versucht hat, sich umzubringen.»
Wahrscheinlich hatte mein Bruder sich gegenüber den thailändischen Beamten aufmüpfig und präpotent verhalten, also zeigte man ihm, wer am längeren Hebel sitzt. Er wurde in eine 40-Mann-Zelle gepfercht und zur Sau gemacht. Auf seinem Totenschein hiess es, er sei an Organversagen als Folge einer Blutvergiftung, einer Lungenentzündung und eines Zuckerschocks gestorben. Was wirklich zu seinem Tod geführt hat, werden wir nie erfahren.
Zum Ethos von Adligen gehört es, Schmerz in Förmlichkeit zu ersticken. Wie zerstört waren Sie nach dem Tod Ihres Bruders?
Wenn es zu einem Aristokraten gehört, unter allen Umständen Haltung zu bewahren, bin ich in diesem Punkt bürgerlich. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich heute an Kikos Grab stand.
Ihr Bruder war auf Ihre Mutter fixiert, Sie auf Ihren Vater. Hat Ihre Mutter den Tod ihres Erstgeborenen verwunden?
Die Umstände von Kikos Tod waren für sie surreal. Sie konnte lange nicht fassen, dass das wirklich passiert war. Allerdings ist sie gut im Verdrängen. Sie hat in ihrem Kopf auch beiseitegeschoben, dass wir beim vielbeschäftigten Vater aufwuchsen, während sie sich in aller Welt vergnügte. Ihre Egozentrik ist auch ein Selbstschutz. Ein wichtiger Satz in ihrem Leben lautet: «I don’t want to look into things too deeply.»
Die Amerikanerin Marilys Healing, die dritte und letzte Frau Ihres Vaters, nahm sich mit 59 wegen Depressionen das Leben, Ihr Vater verfiel daraufhin der Trinksucht.
Ihr Selbstmord hat meinen Vater umgebracht. Er hatte Schuldgefühle, weil er ihre Depressionen nicht ernstgenommen hatte. Nach ihrem Tod war ihm alles wurscht. Er hatte keinen Spass mehr am Leben und verfiel.
Sie leben heute in seiner Finca in Marbella, umgeben von knallbunter Pop-Art und grossformatigen Fotos an der Wand, die Sie mit Berühmtheiten zeigen.
Mein Vater hat die Finca aus schlechtem Gewissen den Kindern seiner letzten Frau vermacht. Ich habe sie ihnen abgekauft. Als ich feststellte, dass sie die Möbel meines Vaters mitgenommen hatten, dachte ich: Let’s give the house some pep and some pop.
Ihr Vater teilte die Vorliebe vieler Aristokraten für Practical jokes. Als Christina Onassis sich bei ihm beschwerte, dass es im Marbella Club keinen Kaviar gebe, rieb er Gewehrschrot mit Petroleum ein und liess ihn ihr als Kaviar auf einer Baked Potato servieren. Als sie bemerkte, was sie im Mund hatte, schrie sie: «Alfonso, du bist ein Mörder!» Ist diese Art Humor auf Sie übergegangen?
Nein, ich bin mehr der Starfucker, der den Leuten bei unseren Clubnächten gute Vibes und effortless style bietet. Statt Russen und Araber abzumelken, setzen wir auf Esprit und Savoir-vivre. Am DJ-Pult stehen morgen Abend Prinzessin Scilla Ruffo di Calabria und Fernando Fitz-James Stuart y Solis, Herzog von Huéscar. Bei uns amüsieren sich die Kinder der Leute, die sich bei meinem Vater amüsiert haben. Ich fände es furchtbar, wenn das Flair, das er geschaffen hat, nach einer Generation tot wäre. Deshalb hüte ich die Flamme.
Welche Streiche Ihres Vaters haben Sie miterlebt?
Wenn er mit Gunter Sachs zusammentraf, wurden die beiden total kindisch und machten Blödsinn. Einmal wollten sie auf dem Rücken eines Elefanten ins Badrutt’s Palace Hotel in St. Moritz einreiten. Den Elefanten hatten sie für einen Tag von einem Zoo ausgeliehen. Er passte aber nicht durch die Eingangstür des Hotels. Bei mir war das höchste der Gefühle, dass ich bei einer Party bei mir zu Hause auf einem Esel eingeritten bin.
Sie sind seit Ihrem 15. Lebensjahr ein notorischer Partygänger. Wie kommt es, dass Sie weder Alkohol trinken noch Drogen nehmen?
Als ich mit 16 wegen einer Gelbsucht sechs Wochen lang im Spital lag, sagte der Arzt, ich würde nie wieder ganz gesund werden, wenn ich in den nächsten Jahren Alkohol trinke. In der Zeit hatte ich gemerkt, dass ich natural high bin. Würde ich mir Zeugs in die Nase ziehen, würde ich abheben und wie ein Luftballon in den Himmel entschwinden. Aber warum? Mir gefällt es hier unten.
Wie gelingt eine Party?
Das grösste Problem von Partys ist ihre Vorhersehbarkeit. Es fehlt das Gefühl, nicht zu wissen, was im nächsten Moment passieren wird. Deshalb setze ich den Freund, der im Gefängnis gesessen hat, neben die Ex-Frau des Emirs von Katar oder Dolph Lundgren neben Prinzessin Bea von Auersperg. Gestandene Aristos und junge Freaks: Mischungen dieser Art schaffen Erlebnisse und lassen den Funken überspringen. Wenn meine Mutter auf den Rotkreuzball in Monaco geht, klagt sie jedes Mal: «Eigentlich würde ich mich lieber erschiessen, denn ich weiss jetzt schon, wer neben wem wo sitzen wird, und dass wieder Mal irgendein Rod Stewart oder Elton John singen wird.» Je älter du wirst, desto weniger Lust hast du, bei solchen todlangweiligen Abenden mitzuspielen. Statt den Moment zu leben, beobachtest du die Leute, die dich beobachten. Geil ist das nicht.
Sie tragen meist höchst gewagte Streifenkombinationen oder T-Shirts mit Aufdrucken wie «Big Beat» oder «Trash is très chic». Haben Sie einen Namen für Ihren Kleidungsstil?
Sophisticated Hippie-Chic trifft es am ehesten. It’s got to be kind of free but cool. Ich zelebriere Diversität, auch wenn ich dabei öfters wie ein Bajazzo aussehe. Wer das Leben feiern will, sollte dabei nicht uniformiert sein. Ich muss aber zugeben, dass meine Frau mich sehr oft fragt: «Das ist jetzt nicht dein Ernst, dass du so aus dem Haus gehen willst, oder?» Sie selbst darf anziehen, was sie will, aber bei Männerbekleidung ist sie von der konservativen Fraktion.
Ihre Frau Simona Gandolfi ist die Cousine von Italiens Skilegende Alberto Tomba und leitet das Modelabel Amen.
Wir haben uns 1994 im Olympischen Dorf in Lillehammer kennengelernt. Sie wollte zu einer Zeit heiraten und Kinder mit mir haben, als ich mich noch nicht gefunden hatte. In einer vier Jahre langen Beziehungspause hat sie dann mit einem anderen Mann zwei Kinder bekommen – wobei das zweite Kind durchaus von mir sein kann, weil wir in der fraglichen Zeit eigentlich schon wieder zusammen waren.
Das zweite Kind heisst Rachel und ist heute eine bildschöne junge Frau. Haben Sie mal einen Vaterschaftstest erwogen?
Nein, es ist gut so, wie es ist.
Sie sind im Februar 60 Jahre alt geworden. Bedauern Sie, keine leiblichen Kinder zu haben?
Ja, aber gottseidank habe ich das Gefühl, dass Rachel mein eigenes Kind ist. Für die History der Hohenlohes wäre es natürlich besser, ich hätte leibliche Kinder.
Geht Ihr Adelstitel an die Kinder von Simona Gandolfi über?
Nein, nur wenn ich die Kinder adoptiere.
Noch vor ein paar Jahren sagten Sie in einem Interview: «Ich bin ein freiheitsfanatischer Wassermann. Zum Heiraten bin ich nicht der Typ. Ich bin auch kein idealer Kümmerer.» Was liess Sie trotz Ihrer Skepsis Anfang des Jahres im Fürstentum Liechtenstein heiraten?
Ich habe zu viele Leute gesehen, die sich selbst zu wichtig nehmen und es nicht schaffen, ihr Leben mit einem anderen Menschen zu teilen. Ich war auch auf diesem Weg, aber ich will nicht als selbstherrlicher Sack enden, der allein im Fond seines Bentleys sitzt und sich vom Chauffeur um den Block fahren lässt, um das Gefühl zu haben, unter Leuten zu sein. Ich komme aus einer problematischen Familie, aber letztlich ist Familie das Einzige was Bestand hat. Kinder zu erziehen trägt eine Menge zur eigenen Menschwerdung bei.
Wie haben Sie Ihrer Frau die Ehe angetragen?
Ich sagte: «Ich habe jetzt den Anzug gefunden, in dem ich dich heiraten werde.»
Was war das für ein Anzug?
Vivienne Westwood. Statt Eheringe zu tragen, habe ich mir «Simo» und sie sich «Hubi» in den Ringfinger tätowieren lassen.
Ihre Mutter erschien nicht zu Ihrer Hochzeit. Die Begründung war, sie stelle am fraglichen Tag in London ihren ziegelsteinschweren Bildband «Ira: The life and times of a princess» vor. In dem Buch schreibt sie über ihre zweite Schwangerschaft: «I didn’t want Hubertus. I really didn’t want him.» Kann man herzloser sein?
Ich sollte verwundert sein, bin es aber nicht. Ich habe an sechs Olympischen Spielen teilgenommen. Hat sie mir auch nur einmal zugeschaut? Nein. War sie bei meiner Matura-Feier? Nein. Ihr scheinbares Desinteresse an mir ist ein roter Faden in meinem Leben, den ich akzeptieren muss. Es kränkt ihren Stolz und beleidigt ihr Ego, dass sie sich meinen Werdegang nicht als ihren Verdienst anrechnen kann. Dass sie nicht zu meiner Hochzeit kam, könnte auch daran liegen, dass sie auf meine Frau eifersüchtig ist. Simona ist schön, wie es meine Mutter einmal war, und beide sind Italienerinnen. Wahrscheinlich hätte meine Mutter es lieber gesehen, dass ich Lady Di geheiratet hätte oder Madeleine von Schweden.
Ihre 79-jährige Mutter – sie heisst in Wahrheit nicht Ira, sondern Virginia Carolina Theresa Pancrazia Galdina – war in den Siebzigern ein Filmstar an der Seite von Anthony Quinn und Klaus Kinski und wurde von Grössen wie Irving Penn, Cecil Beaton und Helmut Newton fotografiert. Ihren pompösen Lebensstil rechtfertigt sie mit dem Satz: «Man muss morgens auf etwas Schönes schauen, um einen angenehmen Tag zu haben.»
Mein Vater hatte die Gabe, einen simplen Chic zu haben. Bei meiner luxusversessenen Mutter musste alles larger than life sein. Ihr Haus in der Via Veneto in Rom, ihr Apartment am Place Vendôme in Paris mit den Wasserhähnen aus Gold: alles wirkte gestylt und aufgepumpt. Ich hätte am liebsten Freunde mitgebracht, damit sie sehen, dass das alles wirklich existiert. Man muss aber auch Verständnis für sie haben. Ihr Onkel war der Fiat-Milliardär Gianni Agnelli. Sie wuchs in einer Sphäre auf, die aus lauter Superlativen bestand. Mit gerade mal 15 Jahren heiratete sie mit meinem Vater einen Mann, der doppelt so alt war. Das ging nur, weil der Papst eine Sondergenehmigung erteilt hatte. Mit 16 bekam sie Kiko, mit 18 mich. Im selben Jahr begann sie eine Affäre mit einem millionenschweren Playboy aus Brasilien. Mit 19 war ihre erste Ehe am Ende, mit 24 die zweite. Sie war als halbes Kind in eine Männerwelt hineingeraten, in der Gesetze galten, die sie weder kannte noch guthiess.
Die Hochzeitszeremonie Ihrer Eltern in Venedig dauerte 16 Tage und war ein weltweit beachtetes Spektakel. Das Fernsehen übertrug, wie 130 Gondeln den Brautzug begleiteten. Wie haben Sie Ihre Eheschliessung gefeiert?
Mit 24 Gästen. Es war eine sehr schöne, sehr stimmige Hochzeit. Es gab keine Familienintrigen und keine Issues. Alle mochten sich.
Gibt es im Leben Ihrer Mutter einen Mann?
Nein, she’s done it all. Männer interessieren sie nicht mehr. Sie hat Häuser oder Wohnungen in Madrid, Rom und London und fliegt nach wie vor zu Einladungen von Imelda Marcos nach Manila oder ist bei den Präsidenten von Guatemala und der Elfenbeinküste zu Gast. She’s pretty unstoppable, auch wenn sie zwischendurch lange Zeit in Spa-Hotels oder Buchinger-Kliniken verbringt, um abzunehmen und etwas für ihre Schönheit zu tun.
Wie oft haben Sie Kontakt?
Wir telefonieren fast täglich. Meistens muss ich anrufen. Tue ich es nicht, ist sie beleidigt. Tue ich es, ist es für sie oft der falsche Moment. Dann klagt sie mit vorwurfsvoller Stimme: «Ich habe überhaupt keine Zeit!» However you do it, it’s complicated.
Gibt es einen Satz, der Sie im Leben begleitet? Ja, er lautet: «Das Fatalste wäre, sein Leben lang eine Leiter hochzuklettern, um am Ende festzustellen, dass sie an der falschen Wand lehnt.»
The Interviewer
Sven Michaelsen studierte Literatur und Geschichte. Sein Markenzeichen sind porträtierende Gespräche mit den Leitfiguren und Idolen unserer Zeit. 2014 und 2018 wurde er mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.