Nicolas Mériel hat eine erklärte Faszination für Blumen. Der Künstler und Fotograf hält ihre komplexe, filigrane Schönheit in aussergewöhnlichen Bildern fest − inzwischen rund 10.000 Aufnahmen meist selbst kultivierter Pflanzen. Als er die Berliner KI-Firma Birds on Mars kennenlernt, erwächst daraus eine neue Vision. Die realen Blütenmotive stellen via künstlicher Intelligenz ihre Facetten zu neuen wunderschönen Kunstformen zusammen und erreichen über die App Flamboyant Flowers zahllose Smartphones. Den Machern geht es aber um mehr: Sie wollen die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz und ihre digitalen Prozesse zeigen – und auf die Leichtigkeit hinweisen, mit der sich heute unwirkliche Realitäten kreieren lassen. Daraus erwuchs das Kunstprojekt: GANs'N'Roses.
Wer die App Flamboyant Flowers installiert hat, muss nicht mehr auf den Valentinstag warten, sondern darf sich auf tägliche Blumengrüsse auf dem Bildschirm freuen. Jedes Motiv ist ein Kunstwerk, flamboyant in der Tat die Darstellung auf tiefem Schwarz, wodurch die Fülle an Details in den Vordergrund rückt. Beim Anblick dieser wundervollen Bilder möchte man unweigerlich zum Gärtner werden – wie der Künstler und Fotograf Nicolas Mériel. Sein ursprünglicher Datenpool hat längst neue «Kreuzungen» ergeben; aus der ersten, echten Generation ist ein vielfältiges Artenuniversum hervorgegangen. Dafür haben Birds on Mars nach den Sternen gegriffen und Mériels Handarbeit mit künstlicher Intelligenz sowie technischen Organisationsstrukturen verknüpft. Das Experiment ist für alle ein Gewinn: Die KI-Spezialisten hatten Gelegenheit, ihr Knowhow in der Anwendung neuester Technologien weiterzuentwickeln, Mériel erfreut die Welt mit authentischen floralen Schönheiten. Zwei Welten haben also eine künstliche und kunstvolle dritte ergeben. Was erblüht noch aus den GANs, den Generative Adversarial Networks − ausser schönen Roses?
Im vergangenen Jahr wurde bei Christie's erstmals ein Kunstwerk versteigert, das kein Künstler, sondern ein Algorithmus erschaffen hat. Das computergenerierte Portrait erzielte unglaubliche 430.000 Dollar. Wie bei den Blumenbildern der Flamboyant Flowers waren auch hier sogenannte GANs verantwortlich, künstliche Netzwerkarchitekturen, die auf der Basis von realen Datensätzen etwas Eigenes erschaffen, selbstständig lernen und etwas Neues hervorbringen. Hier sei erwähnt, dass das datenbasierte Generieren neuer Bilder bei Menschen und Gesichtern aufgrund der geringeren Komplexität von Komponenten leichter programmierbar ist. Ist das die Zukunft? Ersetzen digitale Prozesse menschliche Intelligenz und Kreativität? Die spannende Zusammenarbeit zwischen Nicolas Mériel und Birds on Mars heisst GANs'N'Roses. Die Bezeichnung bezieht sich nicht nur auf das Wesen des Joint Ventures, sondern ist mehr noch als gemeinsames Kunstprojekt zu verstehen. Nach dem erfolgreichen Einsatz der GANs, die das digitale Ökosystem erforschten und die verschiedenartigsten neuen virtuellen Züchtungen entwickelten, wurden diese in einer Ausstellung im Haus der elektronischen Künste in Basel vorgestellt. «Flowers on Mars» überschreibt die neue Generation Blumen, die mit ungesehenen, überraschenden Eigenschaften aufwartet und deren natürlich anmutende Ästhetik, die in ihr steckende Technologie vergessen lässt. Könnte so die Flora der Zukunft aussehen? Könnten diese Arten längst in einem Paralleluniversum existieren, wenn die virtuelle Realität sie kennt? Mit Hilfe von Daten wird der Mensch zum Gärtner künstlicher Intelligenz und zum Schöpfer neuer Lebensformen − ein schönes Bild. Die ästhetischen Motive lassen den technischen Aspekt weit weniger bedrohlich wirken, wenngleich die Ausstellung nicht nur dazu inspirieren will, über Evolution nachzudenken und mit Schönheit zu begeistern. Es geht auch um ein Hinterfragen unserer modernen digitalen Welt, in der sich Realitäten allzu leicht verändert oder verfälscht darstellen lassen. Sind GANs in unserer modernen digitalen Kultur heute die GUNs, die Waffen, welche im Sinne einer «fake new world» zur Verbreitung falscher Wahrheiten und zur Manipulation eingesetzt werden? So kann GANs'N'Roses durchaus als ironischer Anstoss mit ernstem Hintergrund gesehen werden: die extravaganten, hyperrealen Blumen als Sinnbild des aktuellen Trends zur gefakten schillernden Präsentation unseres Selbst oder unserer Lebensumstände. Oder als unaufhaltsame Vermehrung vorgetäuschter Identitäten, um politische Debatten oder Wahlen zu beeinflussen. GANs'N'Roses ist zweifellos ein Projekt, das uns auf mehreren Ebenen in seinen Bann zieht. Es ist bahnbrechende Zukunftstechnologie, sehenswerte moderne Kunst, gesellschaftspolitischer Zündstoff mit hoher Aktualität. Da ist es gut, dass die Ausstellung mit Bildern und Videoinstallationen noch bis Ende Januar 2020 in der Hall of Fame Studiogallery in Lachen sowie auch langfristig am Berliner Fraunhofer Heinrich Hertz Institut zu sehen ist. A propos Zukunftstechnologien: Auch bei GANs'N'Roses darf man eines nicht vergessen: Hätte Nicolas Mériel nicht in jahrelanger zeitaufwändiger Handarbeit gesät, gepflanzt, kultiviert, gegossen, geschnitten, inszeniert und fotografiert, gäbe es auch die Datengrundlage für den KI-Prozess nicht. Am Anfang steht also doch − der Mensch.